EHM - Guter Stoff

Eine Welt aus Stoff: Wie Textilien unsere Gesellschaften vernetzen

Textilien sind überall in unserem Leben. Sie sind Notwendigkeit und Luxus, aber auch Ausdruck von sozialem Stand, politischer Position und überhaupt von uns als Mensch. Mehr noch: Textilien und ihr Handel bestimmen schon lange das Zusammenleben von Menschen. Weit entfernte Gebiete sind über Jahrhunderte durch den Handel mit Stoff verbunden. Die Textilindustrie ist und war zentraler Faktor der europäischen Wirtschaftsentwicklung. Stoff als Wirtschaftsgut vernetzt unsere Gesellschaften – mit allen Konsequenzen: Die Textilindustrie steht für Marktwirtschaft, Innovation und Wohlstand. Zunehmend wird sie jedoch auch kritisch diskutiert: als Treiber des Klimawandels, als Ursache für weitreichende Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung und als Ausbeutungsindustrie. Gute Qualität, gute Arbeit, guter Gebrauch, guter Handel: Die Frage, was ‘guter Stoff’ für uns ist, ist nicht neu. In dieser Ausstellung laden wir dazu ein, ihr nachzugehen.

Von der Hansezeit bis heute Ein roter Faden seit dem Mittelalter?

Schon im Mittelalter sind die Wirtschaftsbeziehungen komplex und die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen ähnlich groß. Die Hansegeschichte eignet sich also gut für die Betrachtung von Textilien als Gesellschaftsthema.Stoffe sind Teil des alltäglichen Handels des Hansekaufmanns. Er stellt die Verbindung zwischen Angebot und Nachfrage auf den nordeuropäischen Märkten her. Die Hanse prägt durch ihre Wirtschaftspolitik den weitreichenden Textilhandel für Jahrhunderte.Wir diskutieren ‘guten Stoff’ seit der ersten Konsumrevolution im 14.-16. Jahrhundert bis heute, dem Zeitalter der Fast Fashion. Und es zeigt sich: Der Textilhandel der Hansezeit und unsere Welt heute haben mehr gemeinsam als man denkt.  

Fun Facts von der Stange

Der Mensch und der Stoff Eine lange Geschichte

9.000-4.000 v. Chr. beginnen die Menschen, Stoff aus Pflanzenfasern zu weben. Das Weben gehört damit zu den ältesten Techniken der Menschheit. 5000-332 v. Chr. entwickelt sich im alten Ägypten eine spezialisierte Leinenproduktion für Kleidung, nicht zuletzt wegen der Nachfrage für Mumifizierung. 115 v.  Chr.–13. Jahrhundert n. Chr. verbindet die Antike »Seidenstraße« weite Wirtschaftsräume. Im Tausch für kostbare Seide werden aus dem Westen Wolle, Gold und Silber in den Osten gehandelt. Im 12.-16. Jahrhundert nimmt mit Bevölkerungs- und Städtewachstum auch die kommerzielle Textilherstellung in Europa zu. Führende Produktionsgebiete sind Italien, Frankreich, die Niederlande und England. Es entsteht ein früher Massenhandel mit Wolltuchen und Leinenstoffen. Das 17.-19. steht im Zeichen der Globalisierung – nicht zuletzt durch Stoff! Bedruckte Baumwollstoffe aus Indien (sog. »Indiennes«) erobern die Märkte und vernetzen Asien, Alte und Neue Welt. Wegen der enormen europäischen Nachfrage werden sie vermehrt nicht nur importiert, sondern auch in Europa hergestellt. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert verändert die Industrielle Revolution Herstellungsprozesse und Arbeit grundlegend. Die maschinelle Massenherstellung bringt sozialen Wandel mit sich. Gehandelt werden zunehmend vorgefertigte Kleidungsstücke. Im 20. Jahrhundert verändern künstliche Fasern die Welt. Zuerst werden sogenannte Regeneratfasern entwickelt, die aus natürlich vorkommenden Rohstoffen (z.B. Holz) über chemische Prozesse hergestellt werden. Nylon wurde 1935 als erste synthetische Faser patentiert. Seit den 1990ern steht “Fast Fashion” und heute “Ultrafast Fashion” für eine beschleunigte Modeindustrie, die inzwischen stark wegen hohem Ressourcenverbrauch und schlechten Arbeitsbedingungen bei kurzer Gebrauchsdauer kritisiert wird.

Rundgang startet im linken Raum

Bunte Stadt. Die Konsumrevolution des Mittelalters

Im 14. Jahrhundert ändert sich der Umgang mit Stoff grundlegend. die Menschen ihr Wohlstand mit farbenfroher Kleidung. Die bunten Stoffe dafür kommen teilweise von weit her. Sie sind von verschiedenster Qualität, für kleinere und größere Geldbeutel. Der Textilkonsum macht die ersten Schritte Richtung Massenphänomen. Das Mittelalter ist auch die Geburtsstunde der Mode. Schon vorher gibt es Wechsel und Neuerungen in der Kleidung. Jetzt aber nimmt die Geschwindigkeit zu und alle Schichten sind beteiligt. Die Ausgaben für Kleidung steigen. Das hat Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander: Stand und Status sind nicht mehr ohne Weiteres an der Kleidung zu erkennen. Kritiker sehen die Mode und den "Luxus für alle" als bedrohliche Verschwendung. Diese gesellschaftlichen Folgen der Konsumrevolution des Mittelalters werden heiß diskutiert.  

Stoffe des Alltags. Wolle und Leinen für Rock und Hemd

Wolltuch und Leinenstoffe kleiden die Stadtbevölkerung von Kopf bis Fuß. Oberbekleidung ist meist aus Wollstoff – er ist wetterfest und warm. Die Unterkleidung ist immer aus Leinen. Das Material kratzt nicht und ist angenehm auf der Haut. Unterschiede in der Stoffqualität zeigen, wer sich etwas Gutes leisten kann. Guter Stoff legt teilweise weite Strecken zurück, bevor daraus Kleidung wird. Wer das Geld hat, dem steht eine Vielfalt an Marken zur Auswahl: Der Lübecker Krämer Hinrik Dunkelgud handelt mit immerhin 18 Wolltuchsorten. Er bietet die verschiedensten Qualitäten an, von Brügger Luxustuchen bis zum einfachen Braunschweiger Stoff. Auch bei Leinen ist das Angebot groß. Besonders nachgefragt sind Leinenstoffe aus Westfalen, Holland und Flandern. [Mehr zur Konsumrevolution](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/konsum_mode_03/)

Maßgeschneidert. Das Mittelalter ist eine modische Zeit!

Die Herstellung von Kleidung ist lange ein eher einfacher Prozess. Wenige Nähte verbinden Rohlinge in Trapez-, Dreieck- oder Rechteckform. Ab dem 14. Jahrhundert verbreiten sich kompliziertere Schnitttechniken. Rock und Oberteil werden nun beispielsweise getrennt geschneidert und erst zum Schluss zusammengesetzt. Diese Neuerungen sind der Startschuss für wechselnde Modetrends. Neue Schnitttechniken bedeuten mehr Vielfalt und Individualität in der Kleidung. Je größer der Geldbeutel, desto besser sind Passform und Material. Die Oberschicht trägt die neuesten Trends mit den intensivsten Farben aus dem besten Stoff. Weniger gut betuchte Städter nutzen die Möglichkeit, über kostengünstigere Materialien und Schnitte an der aktuellen Mode teilzunehmen.  

Luxus für alle? Kleiderordnungen in der Stadt

Mit der Mode kommen auch die sogenannten Kleider- oder Luxusordnungen: Seit dem 14. Jahrhundert regulieren Stadträte vielerorts nach Einkommensgruppen die Ausgaben der Haushalte für Frauenkleidung und Accessoires. Bei Verstoß droht eine Geldstrafe. Warum erachten Stadtregierungen solche Ordnungen für notwendig? Einerseits soll Verschwendung verhindert werden. Denn unnötiger Konsum kann schlimmstenfalls existenzgefährdend sein. Ein perlenbesetztes Kleid etwa wird in der Lübecker Ordnung 1467 auf 60 Mark geschätzt - der Jahreslohn eines Schreibers und damit ein kleines Vermögen. Andererseits hatte Kleidung bisher die wichtige Aufgabe über den gesellschaftlichen Stand einer Person Auskunft zu geben. Die Kleiderordnungen helfen also, die Ordnung der Welt zu wahren. Die Vorgaben sind allerdings kaum durchzusetzen, wie Zeitgenossen bestätigen. Und trotzdem werden Luxusgesetze immer wieder erlassen. [Mehr zu Kleiderordnungen](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/konsum_mode_05/)

In Seide gehüllt. Edle Stoffe des Mittelalters

Stoffe wie Seide und Brokat, aber auch Farben wie Kermesrot stehen im Mittelalter für absoluten Luxus. Das Tragen solcher Stoffe und Farben ist lange nur Angehörigen des Adels und kirchlichen Würdenträgern erlaubt. Daraus gefertigte repräsentative Kleidung ist Ausdruck gesellschaftlichen Rangs. Gold und Silberfäden und Pelzbesatz verzieren die prachtvollen Gewänder der höheren Stände. Auch in der Stadt will man Status mit Stoffen zeigen. In einer Lübecker Luxusordnung von 1454 wird etwa versucht, das Tragen von Seide und Zobel und Marderpelz auf die Oberschicht zu beschränken. Und trotzdem findet sich Seide überall in der städtischen Mode: Reiche Bürger:innen schmücken sich gerne mit Ärmeln, Gürteln und Accessoires aus dem kostbaren Stoff. Wer es sich leisten kann, verziert Kleidung und Schuhe auch mit Seidenstickereien.Glossar Seidenfasern werden aus dem Kokon der Seidenraupenlarve gewonnen und zu feinen Fäden versponnen. Das Herz der mittelalterlichen Seiden Produktion liegt in Byzanz und den islamischen Zentren des Mittelmeerraumes, ab dem 12. Jahrhundert auch in Italien. Brokat ist ein Stoff mit Mustereffekten, der aus verschiedenen Fasern hergestellt werden kann. Die aufwendigen Muster werden mit einem zusätzlichen »Broschierschuss« gewebt, der auf das Motiv beschränkt ist und oft auch Gold oder Silberfäden verwebt. Kermesrot ist eine teure Farbe, die aus Schildläusen gewonnen wird. Das Rot wird aus den ungelegten Eiern des weiblichen Insekts hergestellt. [Mehr zur Seide](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/konsum_mode_06/)

Kein Durchgang

Der Rundgang durch die Ausstellung geht an einer anderen Stelle weiter.

Stoff für alle Fälle. Vom Segel bis zum Taschentuch

Stoff wird im Mittelalter - wie heute - in allen Lebensbereichen eingesetzt. Kein Haushalt ist ohne Stoff: Wandteppiche, Kissen, Bettlaken, Vorhänge, Tisch- und Handtücher machen das Zuhause komfortabel. Im Handel werden Textilien ebenfalls vielseitig eingesetzt: Koggen, Krawele und Co. brauchen Segel und Seile; wertvolle Waren sind oft in grobe Stoffe eingeschlagen. Die gesellschaftliche Bedeutung von Stoff wird auch bei besonderen Anlässen deutlich. Wenn eine Braut - wie in Stralsund um 1400 überliefert - auf dem Weg zur Kirche über fast 250 Meter kostbares Wolltuch schreitet, zeigt das die Bedeutung ihrer Familie. Nicht zuletzt spielt Stoff politisch eine Rolle. Bei diplomatischen Anlässen sind Tuche immer ein angemessenes Geschenk.  

Massenhaft Stoff. Die Textilindustrie der Hansezeit

Fast in jeder Stadt gibt es ein Textilgewerbe. Ein Stück Stoff ist dabei das Ergebnis zahlreicher spezialisierter Arbeitsschritte, vom Spinnen bis zum Veredeln derTuche. Sie zu koordinieren ist keine kleine Aufgabe. Die Technik der Textilherstellung ändert sich bis zur Industriellen Revolution kaum: Wichtigste Innovation ist im 12. Jahrhundert der horizontale Trittwebstuhl, der gleichmäßigeres und schnelleres Weben ermöglicht. Verschiedene Modelle der Produktionsorganisation machen es möglich, dass trotz einfacher Technik und der Handarbeit einzelner Weber eine Massenproduktion lange vor dem Fabrikzeitalter möglich war. Bekannte Produktionsorte stellen so enorme Mengen Stoff für den Fernhandel her. Vom Exportschlager ‘Leidener Wolltuch’ werden um 1500 etwa 25.000 Tuche pro Jahr produziert, was ungefähr 700 Kilometern Stoff entspricht!  

Vieler Hände Arbeit. Der lange Prozess vom Rohstoff bis zum Stoff

Bereits vor dem Weben sind viele Handgriffe nötig: Um einen Wollfaden herzustellen, müssen zunächst die Schafe geschoren werden. Im Anschluss wird die Rohwolle gewaschen und kardiert. Für die Herstellung von Leinenfasern werden die geernteten Flachspflanzen geschlagen und gehechelt. Erst nach diesen mühseligen und zeitintensiven Arbeitsschritten können die Woll- und Pflanzenfasern versponnen und schließlich verwoben werden. Nach dem Weben können die Stoffe noch weiter aufwendig veredelt werden. Walken verdichtet den Wollstoff und macht ihn winddicht und wasserundurchlässig. Durch das Scheren wird der Stoff glatt und ebenmäßig. Das Bad in einer Beize, Bleiche oder in einem Färbemittel verleiht ihm die gewünschte Farbigkeit.Glossar Kardieren: Die Rohwolle wird geglättet, in eine Richtung gekämmt und so für das Spinnen vor bereitet. Dafür wird lange Zeit die getrocknete Karden-Distel verwendet. Von dieser hat der Begriff »Kardieren« seinen Namen bekommen. Hecheln: Die rohen Flachsfasern werden durch eiserne Kämme gezogen. So lassen sich die Fasern spalten und gleichmäßig fein ausrichten. Walken: Durch Stampfen und Hämmern werden die Fasern auf der Ober fläche eines Wollstoffes verfilzt. Das Gewebe wird dadurch verdichtet und nimmt Wasser weniger leicht auf. Scheren: Die hervorstehenden feinen Haare von gewalkten Wollstoffen werden vorsichtig abgeschnitten, um eine glatte Oberfläche zu erhalten. Beize: Durch das Bad in einer Beize werden Stoffe für das anschließende Färben vorbereitet. Erst durch die Beize können Fasern und Färbemittel eine dauerhafte Verbindung eingehen. Bleiche: Durch das Einlegen in flüssiger Bleiche werden die oft unerwünschten Färbungen von Natur fasern chemisch aufgehellt oder ganz entfernt. [Mehr zu Färben zur Zeit der Hanse](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/produktion_02/)

Färben im Mittelalter

[FASZINIERENDE ROTTÖNE UND LEUCHTENDES GELB](https://guterstoff.hansemuseum.eu/faszinierende-rottoene-und-leuchtendes-gelb-das-faerberhandwerk-in-der-hansezeit/)und [BLAU UND GRÜNTÖNE DER HANSEZEIT](https://guterstoff.hansemuseum.eu/mit-pflanzen-faerben-blau-und-gruentoene-der-hansezeit/)

Guter Stoff – Gute Arbeit? Arbeitsverhältnisse und Lohndumping im Mittelalter

Viele spezialisierte Gewerbe sind an einem Stück Stoff beteiligt. Jeder Verarbeitungsschritt trägt zur Qualität der Ware bei, verursacht aber auch Lohnkosten. Teurer sind städtische Arbeitskräfte. Die Arbeit in der Stadt ist an die Mitgliedschaft in der entsprechenden Zunft gebunden. Die Zunftaufsicht überwacht die Arbeit ihrer Mitglieder und kümmert sich auch um ihre wirtschaftliche Absicherung. Handwerker auf dem Land sind nicht in Zünften organisiert und arbeiten zu günstigeren Löhnen. So entsteht ein Lohngefälle zwischen der Stadt und dem Umland. Kaufleute nutzen das immer wieder aus. Sie versuchen, die Tuchproduktion auf das Land zu verlegen, um Produktionskosten zu senken und ihre Gewinne zu erhöhen. Auch wohlhabende Webermeister machen sich niedrige Löhne auf dem Land durch die Weitergabe von Aufträgen zunutze. Über ein solches “Lohndumping” beschweren sich die städtischen Weberzünfte regelmäßig. Arbeitsschutz gibt es nicht: Der Beruf des Färbers ist gesundheitsschädlich. Rauch, Beiz- und Farbdämpfe schädigen die Atemwege. Das ständige Arbeiten in fließend kaltem Wasser fördert zudem rheumatische Erkrankungen. [Mehr zu Arbeitsteilung](https://guterstoff.hansemuseum.eu/arbeitsteilung-in-der-hansezeit/) [Mehr zu Arbeitsverträgen](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/produktion_04/) 

Das grüne Mittelalter? Textilherstellung und Umwelt

Zur Textilherstellung werden viele Ressourcen benötigt. Zwar gibt es im Mittelalter kein Umweltbewusstsein im modernen Sinne. Die Menschen sind sich aber der Begrenztheit von Ressourcen bewusst und pflegen in der Regel einen schonenden Umgang mit ihnen. Trotzdem hat eine ausgedehnte Textilwirtschaft Folgen: Wälder weichen Weideflächen. England etwa ist für Jahrhunderte wichtigster Lieferant hochwertiger Wolle. Die englische Landschaft ist bis heute stark durch die Schafhaltung geprägt. Mit der Produktion von Stoffen gehen auch Gewässerverschmutzung und Luftverunreinigung einher. Färbereien setzen im Färbeprozess Mineralien, Pflanzen und Urin ein. Die daraus entstehenden Abwässer und Abgase gelangen in die Umwelt. [Mehr zu Mensch und Umwelt im Mittelalter](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/produktion_06/)

Vom Produkt zur Ware. Wie Tuch zur Fernhandelsware wird

Nicht alle Stoffe, die am Ende ihrer Herstellung vom Webstuhl genommen werden, eignen sich auch für den Fernhandel. Eine erfolgreiche Tuchsorte zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine bestimmte und beständige Qualität aufweist und regelmäßig in großen Mengen verfügbar ist. Kaufleute und Stadtverwaltungen legen daher großen Wert auf die Standardisierung und Qualitätssicherung im Textilgewerbe. So werden einzelne Webstücke zu einer im Fernhandel begehrten “Markenware”. Aber wie wird aus der Arbeit Einzelner ein Massenprodukt? Drei Modelle sind im Mittelalter beliebt, um die Produktion zu steigern: In der Zunft organisieren sich die Weber einer Stadt selbst; im Verlag koordiniert ein kapitalstarker Verleger die Produktion; die “Schau” wird durch die Stadt organisiert. Diese Formen der Massenproduktion im Mittelalter lassen sich auch als Proto-Industrie bezeichnen. [Mehr zum Verlagssytem](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/produktion_07/)

Für den Rundgang durch diese Tür

Rahmenbedingungen. Der Beitrag der Hanse zum Textilhandel Nordeuropas

Handelsgeschäfte mit Stoffen sind an der Tagesordnung im Nordeuropa der Hansezeit. Je weitreichender Handel ist, desto mehr bedarf er aber gemeinsamer Rahmenbedingungen und Strategien zur Problemlösung. Hierfür ist die Hanse da: Sie definiert die Handelsbedingungen für einen möglichst erfolgreichen Handel der Hansekaufleute und ist somit ein wirtschaftlicher Interessenverband. Überall in der hansischen Wirtschaftspolitik ist Stoff: Privilegien sichern gute Ausgangsbedingungen für den Handel. Die Hanse bestimmt teilweise auch, welche Marken überhaupt gehandelt werden dürfen. Produktstandards werden durch gemeinsame hansische Verordnungen gefördert und eingefordert. Die Niederlassungen und Städte der Hanse bilden ein Kommunikationsnetzwerk gegen Warenmängel und Betrug. Die Hanse beeinflusst so den Handel einzelner Kaufleute in vielfacher Weise. [Mehr zu den Rahmenbedingungen des Handels](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/handel_02/)

Fadennetz. Der Textilhandel der Hansezeit

Stoffe werden schon im Mittelalter über große Distanzen gehandelt: Asiatische Seidenstoffe erreichen Europa, europäische Wollstoffe gelangen bis an die Wolga, tief im heutigen Russland. Die Massenproduktion von Wolltuch und Leinenstoffen konzentriert sich in Nordwesteuropa. Die Produktionszentren reagieren auf den Handel, auf wechselnde Wirtschaftslagen und veränderte Nachfrage. Der hansische Textilhandel verbindet dabei die führenden Produktionslandschaften mit allen Teilen des hansischen Wirtschaftsgebiets. Vor allem über die hansischen Niederlassungen in Brügge und London kaufen die Hansekaufleute Stoffe für ihren Fernhandel ein. Auch die Stoffe aus ihren eigenen Städten bringen die Kaufleute in den Fernhandel ein. Mit dem Textilhandel verbunden ist auch der Handel mit Wolle, Färb- und Beizmitteln - die Textilindustrie ist ein umfangreicher Handelsbereich.  

Markenware. Besiegelte Qualität, Imitation und ‘guter Stoff’

Um im Fernhandel erfolgreich zu sein, muss ein Stoff eine zuverlässige Handelsmarke sein. ‘Marken’-Stoffe tragen die Namen ihres Produktionsortes. Die Händler können die Stoffe über angehängte Stadtsiegel oder Stempel identifizieren. Diese Zeichen geben Auskunft über die Qualität der Stoffe. Zusätzlich lässt sich die Marke anhand der Webkante und Faltung ohne großen Aufwand erkennen. Im Handel ist es wichtig, dass die Warenzeichen zuverlässig sind. Denn sie garantieren über hunderte Kilometer Handelsstrecke, dass eine Tuchsorte gutes ‘Kaufmannsgut’ ist. Imitation erfolgreicher Marken ist im mittelalterlichen “Marketing” gängige Praxis. Die Nachahmung alter, im Fernhandel bekannter Sorten verschafft aufstrebenden Produkten Zugang zum Fernhandelsmarkt und erhöht ihre Absatzchancen. Solange Imitate ihr eigenes Siegel tragen, ist es kein Betrug, sondern lediglich Konkurrenz.  

Der Wert der Dinge. Von der Notwendigkeit zur Nachhaltigkeit

Schon im Mittelalter sind Textilien ein Gesellschaftsthema: Luxus und Verschwendung von Textilien werden als Gefahren für die Gemeinschaft diskutiert. Nachhaltigkeit im Sinne von Schonung der Ressourcen und Umwelt ist dagegen ein modernes Thema. Stoffe und Kleidung werden bis ins letzte Jahrhundert hinein sehr lange genutzt und wiederverwertet. Dies zeigt eine hohe Wertschätzung der Textilien. Trotzdem wird auch im Mittelalter gerne und viel gekauft. Schon damals gibt es Lust am grenzenlosen Konsum von Textilien, nur nicht immer den passenden Geldbeutel dafür. Mit wachsendem Wohlstand und sinkenden Produktionskosten sind Textilien vom Wertgegenstand zum Massenprodukt geworden. In der heutigen Wachstums- und Wohlstandsgesellschaft wird Konsum erwartet und gefördert. Das geht zu Lasten der Umwelt:  Die Textilindustrie verursacht derzeit zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen.  

Bis dass der Tod uns scheidet. Das lange Leben der Stoffe

Stoff ist in der Hansezeit ein Wertgegenstand. Es ist üblich, Kleidung lange zu tragen und weiterzugeben. Die Garderobe eines Verstorbenen wird innerhalb von Familie oder Verwandtschaft vererbt. Abgetragene Kleidungsstücke werden den Angestellten oder Armen überlassen. Über Generationen bekommen Textilien so immer wieder einen neuen Nutzen. Daneben kann getragene Kleidung auch weiterverkauft werden. Das bietet vor allem den ärmeren Teilen der Stadtbevölkerung einen Zugang zu qualitativ guter Gebrauchtware. Auch Neues aus Altem schaffen und Recyclen ist im Mittelalter normal. So kann aus einem Oberteil eines wohlhabenden Bürgers ein kirchliches Prachtgewand entstehen! Zerschlissene und nicht mehr tragbare Kleidung dient noch als wertvoller Rohstoff. Aus solchen Lumpen und Stoffresten wird bis in das 19. Jahrhundert hinein Papier hergestellt.  

Die Lust am Kaufen Der Übergang zur modernen Konsumgesellschaft

Materielle Bedürfnisse begleiten den Menschen durch die Zeiten. Eine Beschleunigung von Konsum findet seit dem 16. Jahrhundert statt. Grund dafür ist auch ein Kulturwandel hin zur Betonung des “materiellen Selbst”. Shopping wird zur Freizeitbeschäftigung derer, die es sich leisten können. Konsum ist wichtig für die Teilhabe an der Gesellschaft. Ende des 18. Jahrhunderts wird in industrieller Massenproduktion auch fertige Kleidung hergestellt, die für breite Teile der Bevölkerung erschwinglich ist. Vor allem niedrigere Lohnkosten ermöglichen eine Vielfalt an günstigen Produkten. Diese Entwicklung setzt sich bis heute fort. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird die Textilindustrie zunehmend globaler. Die Produktion wandert in Länder mit meist schwachen staatlichen Kontrollen. So kommen immer preiswertere Produkte auf den Markt, die im Überfluss zur Verfügung stehen.  

Fast, Faster, Ultrafast. Die Mode von heute ist der Müll von morgen

Inzwischen ist Kleidung für viele eine immer verfügbare Massenware, selten noch ein Wertgegenstand. Wir leben im Zeitalter der (Ultra)Fast Fashion (“(Ultra)Schnelle Mode”). Die Anzahl der neu gekauften Kleidungsstücke ist in den letzten zwanzig Jahren stetig angestiegen. Die Tragedauer dagegen jedoch gesunken. Stoff wird heute kaum noch weitergegeben. Zu günstig ist die Neuware und zu schlecht die Qualität der gebrauchten Stücke. Inzwischen ist die Geschwindigkeit in der Textilproduktion fast schwindelerregend. Die Ultrafast Fashion mach aus ursprünglich vier Kollektionen im Jahr 52 Mikro-Kollektionen: jede Woche etwas Neues. Inzwischen wird diese "Wegwerfmode" viel diskutiert. Die Konsequenzen von Überkonsum sind nicht nur unwürdige Arbeitsbedingungen in wirtschaftsschwachen Ländern, sondern auch riesige Berge von Textilmüll überall auf der Welt. [Alternativen zur Wegwerfmode](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/nachhaltigkeit_02/)  

Cradle to Cradle. Der perfekte Kreislauf

Aktuell werden nur ein Prozent aller Kleidungsstücke zu neuen Textilien verarbeitet.  Der Rest landet auf der Deponie oder wird verbrannt. Was wäre wenn Textilien in einem endlosen Kreislauf nutzbar wären? In so einer ‘Kreislaufwirtschaft’ (‘Cradle to Cradle’) sollen alle Bestandteile eines Produktes immer weiter verwertet werden. Der Kreis fängt beim Produktdesign an und geht über die Herstellung und Nutzung bis hin zur vollständigen Wiederverwertung. Das Ergebnis wäre eine Welt ohne Müll. Ein perfekter Kreislauf. Der Recyclingprozess von Textilien wird momentan vor allem durch Mischgewebe erschwert. Die unterschiedlichen Fasern eines Stoffs müssen vor der Wiederverwertung voneinander getrennt werden. Dafür gibt es noch kein funktionierendes System. Dennoch gibt es schon heute kreislauffähige Kleidung zu kaufen. Sie ist an einem neuen Qualitätssiegel zu erkennen.  

Pilze, Soja, Hundewolle. Der Stoff aus dem die Zukunft ist

Wie sieht sie aus, die Zukunft der Kleidung und der Stoffe? Recyclebar und kreislauffähig sollen sie sein. Ressourcensparend und Umweltfreundlich. Die alten, klassischen Fasern des Mittelalters wie Hanf und Leinen sind derzeit wieder im Trend. Ein anderer Ansatz ist es, neue Materialien zu erproben. Die Möglichkeiten aus der Natur sind vielfältig. Es wird viel experimentiert: Ob Hundewolle oder Soja-Kaschmir, Algen oder Pilzleder – die Palette an innovativen Stoffen wächst. Welche und ob sich diese Stoffe durchsetzen werden, ist noch nicht abzusehen. Die Zukunft scheint darin zu liegen, ‘guten Stoff’ neu zu denken.Glossar Hundewolle (Chiengora) ist die ausgekämmte Unterwolle von Hunden, die – wie Schafwolle – zu Fasern versponnen werden kann. In Nordamerika wird lange Hundewolle verarbeitet, bis die Spanier Schafe einführen. Soja-Kaschmir wird aus den Fasern der Sojabohne hergestellt – ein Nebenprodukt der Soja-Nahrungsmittel. Pilzleder wird aus Zunderschwamm gemacht, ein Baumpilz, der Laubbäume wie Birken und Buchen befällt und einen Durchmesser von bis zu dreißig Zentimeter erreichen kann. Das gewonnene Material ist sehr leicht und hat eine samtige Oberfläche.[Alte Pflanzenfasern wiederentdeckt](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/nachhaltigkeit_03/)

Mode im Wandel. Die Fashion Revolution beginnt

Im letzten Jahrzehnt hat sich viel verändert. Ein wichtiger Weckruf war am 24. April 2013 der Einsturz des Rana-Plaza Gebäudes in Bangladesch, der tausende Textilarbeiter:innen das Leben kostete. Die ‘Fashion Revolution’ begann. Inzwischen findet zum Gedenken an die Katastrophe jedes Jahr der Fashion Revolution Day statt: Unter #whomadeymyclothes fragen Verbraucher:innen, wer ihre Kleidung produziert hat. Textilarbeiter:innen auf der ganzen Welt antworten unter #imadeyourclothes. Die Kampagne schafft Bewusstsein für die Menschen hinter der Kleidung. Heute gibt es viele Initiativen für einen positiven Wandel der Modeindustrie. Und alle können mitmachen. Lass’ Dich inspirieren, tausch’ Dich mit anderen aus - und sei Teil des Wandels!  

Upcycling. Eine zweite Chance für alten Stoff

Upcycling ist topaktuell! Zeitschriften, Blogs oder Videos im Netz zeigen, wie man aus ungenutzten Kleidungsstücken etwas Neues kreieren kann. Die Wortschöpfung aus „up“ („nach oben“) und „recycling“ („Wiederverwertung“) schuf der Ingenieur Reiner Pilz bereits 1994. Das Prinzip: bereits existierende Rohstoffe werden wiederverwendet und erhalten dadurch eine Aufwertung. Das ist ressourcensparend und nachhaltig: ein Gegentrend zur Fast Fashion Massenware. Fast 80 Millionen Videos sind unter #upcycledclothing auf der Social Media-Plattform “Tik Tok” zu finden. Ein altes Nachthemd wird zum sommerlichen Kleid, eine Jeans zu einem angesagten Hut. Der Trick ist es, den Stoff und nicht das fertige Kleidungsstück zu sehen. So können aus alten Dingen neue Trendteile entstehen. Upcycling ist ein Hobby, das individuelle Stücke schafft und alten Stoffen ein neues Leben gibt.  

Slow Fashion. Ein nachhaltiger Modetrend

Slow Fashion (“Langsame Mode”) meint wortwörtlich die Entschleunigung der Modeindustrie. Das Prinzip ist simpel: weniger kaufen, Kleidung länger tragen und wertschätzen. Denn wenn jede:r Deutsche zwei Artikel weniger pro Jahr neu kaufen würde, spart das durchschnittlich so viele Treibhausemissionen ein, wie der gesamte deutsche Inlandsflugverkehr erzeugt. Die Alternativen zum Neu-kaufen sind zahlreich: Wie wäre es mit Second-Hand, Kleidung tauschen oder mieten? Wenn es doch mal etwas Neues sein muss, lohnt es sich, eine bewusste Entscheidung zu treffen. Welche Qualität hat das Kleidungsstück? Passt es zu dem Rest meines Kleiderschranks? Werde ich es lange tragen können? Ist es vielleicht sogar ökologisch oder fair produziert? Lass Dich Inspirieren und entdecke die Slow Fashion Möglichkeiten! [Ziele für nachhaltige Entwicklung](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/zukunftslabor_01/)

Willkommen im Zukunftslabor! Die Textilindustrie der Zukunft

Wie sieht die Textil- und Modeindustrie der Zukunft aus? Eine klare Antwort darauf gibt es noch nicht. Produktion, Verbrauch und Entsorgung unserer Kleidung werden sich ändern müssen. Einige Marken entscheiden sich schon heute für eine faire, ökologische Produktion und engagieren sich für transparente Lieferketten. Doch noch lange nicht alle Unternehmen beteiligen sich an diesem Wandel. In den Städten braucht es mehr Angebote zum Reparieren oder Mieten von Kleidung. In der Gesellschaft muss ein Umdenken zu Konsum und Wert von Textilien stattfinden. Gesetzliche Bestimmungen könnten den Problemen der Textilindustrie entgegenwirken und eine positive Veränderung beschleunigen. Die Herausforderungen in der Textilindustrie können jedoch nur gelöst werden, wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an einem Strang ziehen.  

Intelligente Stoffe. Fakt und Fiktion

Die Stoffe der Zukunft werden mehr denn je Bestandteil unseres Alltags sein. Was sich anhört wie aus einem Science- Fiction Film ist in manchen Fällen schon Realität: Eine intelligente Decke, die im Krankenhaus die Körperfunktionen der Patient:innen überwacht; eine Jeansjacke die mit dem Smartphone interagiert und Sensoren in der Kleidung die für mehr Sicherheit sorgen. Die Möglichkeiten der sogenannten Smart Textiles werden gerade erst ausgetestet. Was die guten Stoffe von morgen sind, erforschen die Wissenschaftler:innen von heute. Wie stellst Du dir die Stoffe der Zukunft vor? [Mehr zu Smart Textiles](https://guterstoff.hansemuseum.eu/qr/zukunftslabor_02/)

Das Lebende Buch

Diese Medienstation lässt sich online nicht darstellen. Wenn Sie das lebende Buch erleben möchten, besuchen Sie unsere Dauerausstellung. Dort finden Sie das Buch in der Inszenierung "London".

Fun Facts von der Stange

Stoff gehört seit tausenden von Jahren zur Menschheit. Über die verschiedenen Rollen des Stoffs lassen sich unzählige Geschichten erzählen. Er ist wirtschaftlich und politisch ein Hauptdarsteller, tritt aber auch in vielen Märchen und Redewendungen auf.

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